Verfahrensinformation

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 9. Februar 2023 - 1 LC 83/22.


Die Klägerin wendet sich als benachbarte Gemeinde gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Sportfachmarktes. Die Gesamtverkaufsfläche des Vorhabens beträgt – nach einer Änderung der Baugenehmigung im Juli 2020 – etwas über 3 500 m2 . Der großflächige Einzelhandelsbetrieb ist zwischenzeitlich verwirklicht und seit März 2021 in Betrieb; die Klägerin war mit ihrem Eilrechtsschutzbegehren gescheitert.


Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 23/220 "Brinkum-Nord Sportfachmarkt", der am 12. Februar 2020 als Satzung beschlossen wurde und am 2. März 2020 in Kraft trat. Auf den Normenkontrollantrag der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht diesen jedoch mit Urteil vom 9. Februar 2023 - 1 KN 63/20 - für unwirksam erklärt. Die Entscheidung ist rechtskräftig, nachdem der Senat die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluss vom 31. Januar 2024 - 4 BN 20.23 - zurückgewiesen hat.


Widerspruch und Klage der Klägerin blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die Baugenehmigung jedenfalls keine Rechte der Klägerin verletzt.


Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Baugenehmigung aufgehoben. Das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, weil der zur Schaffung der bauplanerischen Voraussetzungen aufgestellte Bebauungsplan Nr. 23/220 unwirksam sei und das Vorhaben den Festsetzungen sämtlicher zuvor für das Vorhabengrundstück geltender Bebauungspläne widerspreche. Die Klägerin sei durch die rechtswidrige Baugenehmigung auch in ihren Rechten verletzt. Eine solche Rechtsverletzung ergebe sich zwar nicht aus dem Gebot der interkommunalen Abstimmung (§ 2 Abs. 2 BauGB), da dessen Anforderungen genügt sei. Die Baugenehmigung verletzte die Klägerin aber in ihren aus § 11 Abs. 3 BauNVO 1990 bzw. 1968, je nachdem, welcher Bebauungsplan anzuwenden sei, folgenden Rechten. § 11 BauNVO 1990/1968 sei für die in der Vorschrift genannten Vorhaben gerade auch mit Blick auf die Nachbargemeinden die unwiderlegliche Vermutung eines Planungsbedürfnisses und -erfordernisses zu entnehmen, sofern nicht ausnahmsweise die Zulassung auf der Grundlage des § 34 BauGB in Frage komme. Dieses Planungserfordernis diene auch dem Schutz der Nachbargemeinde, weshalb sie beanspruchen könne, dass eine Vorhabenzulassung nicht erfolge, solange dem Planungserfordernis nicht genüge getan sei. Erst eine wirksame Planung mache den Weg frei für die Zulassung eines in § 11 Abs. 3 BauNVO 1990/1968 genannten Vorhabens. Die Missachtung dieser Sperre führe zur Rechtsverletzung bei der Klägerin, weil sie aufgrund des Vorhabens mit unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art auf ihren zentralen Versorgungsbereich Innenstadt zu rechnen habe.


Die Beklagte und die Beigeladene haben die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision eingelegt. Im Revisionsverfahren wird zu klären sein, ob § 11 Abs. 3 BauNVO oder das interkommunale Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB) einer benachbarten Gemeinde ein Abwehrrecht gegen eine Baugenehmigung für einen § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO unterfallenden Einzelhandelsbetrieb gewährt, wenn dieser auf der Grundlage eines sich nachträglich als unwirksam erweisenden Bebauungsplans genehmigt worden ist.


Pressemitteilung Nr. 21/2024 vom 24.04.2024

Abwehrrechte einer Nachbargemeinde gegen die Genehmigung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs im beplanten Innenbereich

Eine Nachbargemeinde kann sich gegen die Genehmigung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs im beplanten Innenbereich nur dann mit Erfolg wenden, wenn das Vorhaben zu schädlichen Auswirkungen auf deren zentrale Versorgungsbereiche führt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Klägerin, eine kreisfreie Stadt mit etwa 78.000 Einwohnern, wendet sich gegen eine der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Genehmigung für den Neubau eines Sportfachmarkts mit einer Verkaufsfläche von mehr als 3500 m2 . Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Brinkum-Nord Sportfachmarkt", den das Oberverwaltungsgericht auf den Normenkontrollantrag der Klägerin für unwirksam erklärt hat. Der Markt ist inzwischen errichtet und seit März 2021 in Betrieb.


Widerspruch und Klage gegen die Baugenehmigung blieben erfolglos. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die Baugenehmigung aufgehoben. Diese sei rechtswidrig, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Der aktuelle Bebauungsplan sei unwirksam, die Vorgängerbebauungspläne ließen das Vorhaben nicht zu. Hierdurch werde die Klägerin in ihren Rechten aus § 11 Abs. 3 BauNVO verletzt. Die Vorschrift begründe für die darin genannten Vorhaben auch im Interesse der Nachbargemeinden ein Planungserfordernis, sofern nicht ausnahmsweise eine Genehmigung nach § 34 BauGB erteilt werden könne. Eine Nachbargemeinde könne sich daher, wenn von dem Vorhaben unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf ihre zentralen Versorgungsbereiche ausgingen, gegen dessen Genehmigung wenden, solange es an einer wirksamen Planung fehle.


Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. § 11 Abs. 3 BauNVO dient nicht dem Schutz von Nachbargemeinden. Auch ein Rückgriff auf das für die Bauleitplanung geltende Gebot der interkommunalen Abstimmung (§ 2 Abs. 2 BauGB) scheidet aus. Der Rechtsschutz bestimmt sich nach der maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Zulassungsnorm. Beurteilt sich – wie hier wegen des "Zurückfallens" auf einen früheren Bebauungsplan – die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO nach § 30 BauGB, richtet sich der in diesen Fällen durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Rechtsschutz der Nachbargemeinde nach dem auch hier heranzuziehenden Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB. Schädliche Auswirkungen im Sinne dieser Vorschrift gehen von dem Sportfachmarkt auf zentrale Versorgungsbereiche der Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Normenkontrollurteil nicht aus.  


BVerwG 4 C 1.23 - Urteil vom 24. April 2024

Vorinstanzen:

OVG Lüneburg, OVG 1 LC 83/22 - Urteil vom 09. Februar 2023 -

VG Hannover, VG 4 A 3897/20 - Urteil vom 09. Februar 2022 -